Gnadenflur.
In unserem Kreise hat Nr.1 einen großen Sieg davongetragen,
ungeachtet dessen, dass Herr Lonsinger hier schöne, aber nicht stichhaltende
Reden gehalten hat. Seit 1911 gibt es bei uns eine Volksbibliothek, vom
Landamte eröffnet. Der Leiter der Bibliothek hält Vorlesungen. Anfänglich gab
es bis 40-50 Zuhörer; gelesen wurden politische Büchlein. In letzter Zeit
werden diese Lehrstunden fast gar nicht mehr besucht. Männer kadettischer
Gesinnung schüren dagegen: sie befürchten, die Leute würden zu aufgeklärt.
Aufgefordert vom Landamte, willigte das Lehrerpersonal ein, Abendschule für
Gewachsene zu halten, die des Schreibens und Lesens unkundig sind; jedoch auch
dieses edle, nützliche Werk blieb ganz ohne Erfolg.Am 23 Mai d.J. wurde endlich
der lang ersehnt Wunsch verwirklicht, einen Konsumverein zu gründen. Anfänglich
hatte er 82 Mitglieder mit gegen 19 000 Rubel Kapital; jetzt zählt der Verein
183 Mitglieder, aber leider ist zu bedauern, dass das Vereinswesen nicht gut
fortbestehen will und wird. Erstens fehlt es uns an fachkundigen Männern, die
an der Spitze des Vereins stehen müssten, zweitens herrscht Eigenlebe, Ehrgeiz,
Missgunst und Parteihader unter den Mitgliedern der Verwaltung, manche treiben
Rebenhandel, es mangelt auch an Waren. Durch die Eröffnung unseres Vereins
erwachten auch Rosendam, Mannheim und Chutor Virntschu und eröffneten solche
Vereine. In Mannheim geht und steht das Geschäft viel besser, dank der guten
fachkundigen Leitung des Herrn Jakob Luft.Am 18 und 20 November gab es bei uns
stürmische Gemeindeversammlungen wegen Schule und Schulmeister, wobei es fast
zu Raufereien kam. Auch hier wollte man die goldene Freiheit zum Deckmantel der
Bosheit benutzen. Am 21 und 22. November wurden diese Fragen wieder in Ruhe und
Frieden abgemacht, man kam noch bei Zeiten zur Besinnung. Am 23 November wurde
wieder der Mitbürger H. Müller zum Vorsitzenden des Vollziehungskomitees
gewählt. Letzterer hatte sich durch den Streit auf den vorhergehenden Sitzungen
losgesagt, jetzt forderte er Gehaltszulage. Die Versammlung setzte ihm 30 Rubel
zu. Er verlangte aber 35 Rubel. Endlich, nach langem Hin und Her erbot sich
Herr Fr. Fink, die 5 Rubel den Müller aus seiner Tasche zu zuzusetzen und
überreichte die 5 Rubel sogleich auf Verlangen einiger Mitglieder dem
Vorsitzenden der Versammlung. Letzterer überreichte sie Müller, der sie mit
Freuden unter Gelächter und Hohn der Versammlung entgegennahm.
K. Winter
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